Wie von der Tarantel gestochen...

Meine Begegnung mit der Pizzica fand auf einer Reise in Süditalien statt. Im Sommer 2008. Auf einem Festival hörte ich diese eingehenden Schläge des Tamburellos, der italienischen Rahmentrommel (die mit den Schellen). Es hat mich sofort "gepackt" - es war wie zu sterben, und gleichzeitig jedoch auch wie "nach Hause zu kommen". Seitdem hat mich dieser Tanz nicht mehr losgelassen. 

 

Pizzica. Das leitet sich ab von "pizzicare", was soviel bedeutet wie stechen, beißen ("wie von der Tarantel gestochen"). Sie wird vor allem im Salento, im Süden Italiens (Apulien) getanzt. Die Pizzica ist ein sehr alter Trance- und Heilungstanz, der sich bis ins 13./14. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Die Tarantel, die man anfänglich als Auslöser für das Leiden vieler Menschen - hauptsächlich Frauen - ansah, wurde zur Metapher für diesen Tanz, der als Ritual mit Musik und Farben im Kreise der Familie abgehalten wurde, um die sogenannten "Besessenen" (hauptsächlich Frauen), so nahm man an, vom vermeintlichen Gift der Tarantel-Spinne zu befreien (vgl. Tarantismus, pizzica tarantata). 

 

So wie ich es für mich begriffen habe, geht es dabei eigentlich um die Befreiung von etwas "Innerem" (die eigenen "Dämonen"), der wilden archaischen Kräfte. Tanz und Musik befreien, zunächst erst einmal innerlich. Wie können wir uns sonst befreien, wenn nicht zunächst in unserem Inneren, aus unserem eigenen "Gefängnis" von geprägten Konditionierungen, Denkweisen & Mustern?! Daher steht das Phänomen des (wilden) Tarantel-Tanzes auch für Rebellion und lässt sich als Widerstandsbewegung betrachten.

 

Heute wird die Pizzica in Italien als Tradition weitergeführt und folkloristisch auf Festen & auf der Straße als eine Art Paartanz getanzt (pizzica pizzica), oft innerhalb eines Kreises (Ronda). Hierbei geht es eher um das Beisammensein, das "Spiel" miteinander, die Begegnung und die Freude am lebendigen Sein.